Claim by Shed Ballet

Das Motiv der Häutung ist ein Symbol für Veränderung und Wiedergeburt. Es steht für das Ablegen alter Identitäten, Verletzlichkeit und die Bereitschaft, sich neu zu erfinden. Für die Leipziger Band Shed Ballet ist das Häuten (engl. “to shed”) eine Metapher für das Wachstum, das sie als Gruppe und individuell erleben. Der zweite Teil des Bandnamens steht für die Art, wie die Band dieses Erzählen vom Wachsen musikalisch umsetzt – mit deutlichem Zug zur Tanzfläche.

Für Shed Ballet bedeutet der Release von Claim ein Abschluss - und gleichzeitig eine Öffnung von Raum für Neues. Die Veröffentlichung dieses Albums war ein lang ersehntes Ziel, und der Weg dahin umfasst Metamorphosen, die weit vor der Bandgründung im Jahr 2014 einsetzen. Doris Riedel, Kerstin Peupelmann und Hannah Becker spielen seit 2007 in wechselnden Formationen gemeinsam Musik. In der Leipziger Musikszene der 2000er und 2010er Jahre hinterlassen sie ihre Spuren im orchestralen Indie-Projekt Make New Maps (u.a. mit Jonas Wehner / Warm Graves; Florian Wienczny / Hundreds), dem Duo Jaara aus dem Label analogsoul und der Wave-Band L.A. Love u.a. mit Ilses Erika Begründer Jörn Drewes, mit dem Doris Riedel zuletzt 2021 unter dem Namen Wir Sind Es Selbst eine LP veröffentlichte.

Claim ist kein Live-Album, aber es fängt die Energie von Shed Ballets Auftritten ein, und transponiert ihn auf acht Tracks in epischen Klang, der die Intensität eines Trios weit übersteigt. Die Tracks sind konsistent und fordernd vorgebracht, Genre-Zuordnungen und Vergleiche laufen Gefahr, in die Irre zu führen. Geprägt ist Claim von Geschwindigkeit und Fülle: Da sind zum einen die stampfenden Grooves, und schnellen Beats, die das Album durchziehen. Zum anderen besticht Claim durch eine klangliche Größe, zuweilen sogar Monumentalität im Sound. Im Widerhall von Elektrosamples, verzerrten Gitarrentönen, Tasten und den Drums finden sich Reminiszenzen an britische Klänge der späten 90er und frühen 2000er – wie Abdrücke aus tieferliegenden Hautschichten, nicht wie schlecht gealterte Tattoos. Markant ist der hohe Anteil an elektronischen Elementen, der dem Album viel Raum verleiht. Die Stimmen von Hannah Becker und Doris Riedel türmen sich teils beschwörend auf, teils erzählen sie leise zwischen den Flächen. Dass die Platte von der hymnischen Nummer “Summer Went By” beschlossen wird, wirkt emblematisch: Sie entstammt einer der ersten Häutungen von Shed Ballet und begleitet die Band schon seit über acht Jahren, war bereits auf der selbstbetitelten, inzwischen vergriffenen EP (2016) vertreten. Der Song bricht das Tempodiktat der ersten sieben Tracks und wiegt sich zum Gewölbe auf. Ein Gewölbe, das die bisherige Reise der Band überspannt und der Decke eines Konzerttempels gleich, den Schwitzenden für die Dauer eines Gigs Schutz bietet und sie beherbergt.

“Claim” wurde aufgenommen in den “Haunted House Studios” Leipzig von Christian Döpping und produziert von Joe Haege und Fritz Brückner (“White Wine”).

“Claim“ erscheint am 13. September 2024 auf dem Label Ketzerpop.

Die Besprechung für den Pressetexte fand auf einer Terrasse zu einer Kinderparty statt.

• Hannah Becker - g, key, voc
• Doris Riedel - b, org, key, voc
• Kerstin Peupelmann - dr

Text: Andreas Bischof

record label & event collective based in leipzig, germany

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